Die Wiener Albertina zeigt die sehenswerte Schau „Die frühe Radierung“
Die Entwicklung druckgrafischer Techniken als künstlerische Errungenschaften (Holzschnitt, Kupferstich, Radierung) kennzeichnet das ausgehende Mittelalter. Während jedoch die Herstellung eines Kupferstichs oder eines Holzschnitts große technische Erfahrung und Meisterschaft erfordert, kann fast jeder das Radieren bewerkstelligen. Mit dieser neuen Technik befassten sich sowohl Druckgrafiker als auch Architekten und Künstler, darunter in der Renaissance solche vom Rang eines Albrecht Dürer, Parmigianino oder Pieter Bruegel.
Christof Metzger, Kurator der Ausstellung „Die frühe Radierung – Von Dürer bis Bruegel“ in der Wiener Albertina, schilderte bei der Presseführung humorvoll, wie er sich als Zehnjähriger, in einem Schulbuch erstmals mit einer „Radierung“ von Rembrandt konfrontiert, gefragt habe, „wie er das wohl gemacht hat“. Doch der Radiergummi, mit dem alle Menschen in ihrer Schulzeit Erfahrung machen, ist nicht das Werkzeug jener Radierer, die eine im späten 15. Jahrhundert entwickelte künstlerische Technik beherrschen. Was dafür an Geräten gebraucht wird, wird in einer Vitrine im ersten Raum gezeigt und erklärt.
Der deutsche Begriff „radieren“ kommt vom lateinischen Wort „radere“, das „schaben“ oder „kratzen“ bedeutet. Es geht um ein Tiefdruckverfahren, bei dem die zu druckenden Linien mit einer Metallnadel in die Druckform beziehungsweise in eine darauf aufgetragene Wachsschicht eingegraben werden. Dabei wird die Säureanfälligkeit unedler Metalle genutzt, um auf chemischem Weg die gewünschten Konturen und Schraffuren zu produzieren. Die Radierung erlaubt ein spontanes Arbeiten und steht damit der Zeichnung näher als alle anderen Druckverfahren.
Die Ausstellung „Die frühe Radierung“ läuft bis 10. Mai 2020 und ist in Zusammenarbeit mit dem Metropolitan Museum New York zustande gekommen. Sie konzentriert sich auf die ersten hundert Jahre dieser Form der Druckgrafik. 80 Prozent der mehr als 100 Exponate befinden sich im Eigentum der Albertina, deren Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder darauf hinweist, dass sein Haus 950.000 Druckgrafiken besitzt, darunter die bedeutendsten und seltensten der Kunstgeschichte.
„Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ lautet ein oft zitierter Satz des altgriechischen Philosophen Heraklit von Ephesos. Wie auch immer man diese Aussage bewertet oder interpretiert, die Radierung hat jedenfalls ihren Ursprung in den Werkstätten von Waffenätzern, die ihre Erzeugnisse mit Hilfe von Säuren dekorierten. Was auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper in einer Ausstellung von Bildwerken wirkt, eine um 1555 in Augsburg hergestellte Sturmhaube (Eisen mit Ätzdekor, feuervergoldet), macht dies sichtbar.
Im Spätmittelalter galt die Rüstungsmetropole Augsburg als Hochburg der Eisenätzung. Der Augsburger Daniel Hopfer (1471-1536), der sich auf das Ätzen von Motiven auf Helme, Schwerter oder Pferdeharnische verstand, begann um 1495 als erster „Radierer“, von geätzten, also „radierten“ Metallplatten Abzüge auf Papier herzustellen. Seine Radierung „Tod und Teufel überraschen zwei Frauen“ (ca. 1510-1515), eine Leihgabe aus New York, nimmt die weibliche Eitelkeit aufs Korn.
Hopfer entwickelte höchste Meisterschaft darin, Linien- und Flächenätzung auf einer Platte zu kombinieren. Durch mehrfaches Ätzen vermochte er im Druckbild Abstufungen von Schwarz bis Mittelgrau zu erzielen. In einem weiteren Verfahren, bei dem Ätzgrund und Ätzwasser mit dem Pinsel aufgetragen wurden, gelang es ihm, einen im Abdruck an Aquatinta-Radierungen erinnernden flächigen Grauwert zu erzeugen. In Augsburg war zu Hopfers Zeit nur noch Hans Burgkmair der Ältere (1473-1531) als Radierer tätig, von dem das Blatt „Venus, Merkur und Amor“ gezeigt wird.
Die deutsche Radierung habe als eigene Kunstform die Frühzeit der Radierung beherrscht, meint Klaus Albrecht Schröder. Im kurzen Zeitraum von 1515 bis 1518 experimentierte auch der große Albrecht Dürer (1471-1528) mit der Eisenradierung, vor allem mit der Wirkung von Licht und Schatten. Zu den sechs von ihm in der Ausstellung präsentierten Werken zählen die „Landschaft mit Kanone“, die „Entführung auf dem Einhorn“ und das „Schweißtuch Jesu“.
Um 1520, als man in den Niederlanden bereits – erstmals durch Lucas von Leyden – mit Kupferplatten arbeitete, verwendeten die deutschen Radierer zunächst weiter Eisenplatten. Albrecht Altdorfer (um 1485-1538) setzte mit der Darstellung von Landschaften einen neuen Akzent. Die Albertina besitzt eine Reihe von – zum Teil kolorierten – Unikaten aus der Werkstatt dieses Meisters, zum Beispiel „Die kleine Fichte“. Er inspirierte vor allem die beiden Nürnberger Künstler Augustin Hirschvogel (1503-1553) und Hans Lautensack (um 1520-um 1565), die zunehmend das Eisen durch das flexiblere und einfacher zu bearbeitende Kupfer ersetzten.
Wer wissen möchte, wie die deutsche Stadt Nürnberg in der Mitte des 16. Jahrhunderts ausgesehen hat, wird eine Weile vor zwei Werken von Hans Lautensack verweilen. Der Künstler, der sich in der Nähe seines Monogramms am unteren Bildrand selbst bei der Arbeit verewigte, schuf 1552 zwei Ansichten von Nürnberg, eine von Osten und eine von Westen, die von jeweils drei radierten Platten gedruckt wurden. Lautensack hielt auch ein Fußturnier im Hof der Wiener Hofburg großformatig fest.
Die weiteren Räume der Schau führen in die Niederlande, nach Italien und Frankreich.
Lucas von Leyden (um 1494-1533) und seiner Werkstatt werden rund 300 Druckgrafiken zugeschrieben, nur sechs davon sind Radierungen, alle im Jahr 1520 entstanden. Seine „Bettlerfamilie“ ist sichtlich vom erfolgreichsten Buch der frühen Neuzeit, Sebastian Brants „Narrenschiff“, inspiriert. Ein anderes Werk Lucas von Leydens, beeinflusst von einer zwei Jahre zuvor angefertigten Porträtzeichnung Albrecht Dürers, bildet den 1519 verstorbenen Kaiser Maximilian I. ab. Dabei kombinierte der Künstler die Radierung mit der Kupferstichtechnik: Das Gesicht ist präzise gestochen, dagegen sind der Rest der Person und der Bildhintergrund radiert.
Aus den Niederlanden sind weitere solche Kombinationen von Radierung und Kupferstich ausgestellt. Pieter Bruegel der Ältere (um 1526-1569) entwarf zwar mindestens 35 Bildvorlagen, nach denen professionelle Druckgrafiker Radierungen oder Kupferstiche produzierten, schuf aber nur eine einzige Radierung selbst. Seine „Hasenjagd“ von 1560 gilt als Illustration der Redensart, wonach der Jäger selbst der Gejagte ist. Denn dem dargestellten Jäger mit Hund, der mit seiner Armbrust auf ein paar kleine Hasen zielt, lauert hinter einem Baum ein Mann mit einem Speer auf. Bruegel kooperierte intensiv mit dem Antwerpener Verleger Hieronymus Cock (1518-1570), von dem die Druckgrafik „Ruinen auf dem Palatin“ (Radierung und Kupferstich, 1550) stammt. Für gewinnorientierte Verleger wie Cock erwies sich die Radierung als interessante Alternative zum Kupferstich, denn die Druckerplatte ließ sich in wesentlich weniger Zeit anfertigen und ermöglichte die Produktion von rund 1000 guten Abzügen.
Eine der frühesten Radierungen von Jan Cornelisz Vermeyen (um 1504-1559), „Muley Ahmed“, führt in die Historie des 16. Jahrhunderts. Muley Ahmed war der Sohn von Muley Hasan, jenem aus Tunis vertriebenen Berberkönig, für dessen Wiedereinsetzung sich die Spanier einsetzten, um so Kontrolle über die nordafrikanische Küste zu erlangen. Vermeyen nahm im Gefolge von Kaiser Karl V. 1535 an diesem Feldzug teil und hielt Muley Ahmed auch auf einem heute verlorenen Gemälde fest, das nur noch durch eine 1608 von Peter Paul Rubens angefertigte Kopie überliefert ist.
Der erste italienische Künstler, der die Möglichkeiten der Radierung voll ausschöpfte, war Francesco Parmigianino (1503-1540). Man weiß nicht, wo er diese Technik erlernte, findet aber bei ihm große Experimentierfreude auf diesem Gebiet. Er probierte die Wirkung von farbiger Druckertinte und Plattentönen aus, bearbeitete die geätzten Kupferplatten mit Stichel oder Kaltnadel und kombinierte erstmals Radierung und Holzschnitt. Zwischen 1527 und 1530 hielt er sich in Bologna auf und fertigte dort Altartafeln, Porträts, Entwürfe für Hell-Dunkel-Holzschnitte und 18 Radierungen an. Zu Parmigianinos besten und ehrgeizigsten Radierungen zählen seine beiden unterschiedlichen Blätter zum Thema „Die Grablegung Christi“, die zweite Version entstand vermutlich aufgrund der Zerstörung der Druckplatte von der ersten Arbeit.
Auf nachfolgende Künstler, vor allem in Venedig und Verona, hatte er erheblichen Einfluss. Einer davon war Angelo Falconetto (um 1507-1567), dessen Werk „Meergötter“, inspiriert von römischen Meerwesen-Sarkophagen, ein in der Renaissance sehr beliebtes Thema aufgriff.
In Frankreich kam die Radierung erst um 1540 auf, besonders gepflegt vom Zeichner und Architekten Jacques Androuet du Cerceau (um 1511-1585). Er setzte sich intensiv mit den römischen Bauwerken des Altertums auseinander, ein markantes Beispiel ist seine Radierung „Das Kolosseum“. Im letzten Raum der Ausstellung springt noch besonders die um 1545 entstandene „Menschenpyramide“ ins Auge. Der französische Bildhauer und Radierer Juste de Juste (um 1505-um 1559) hat zu diesem Thema eine bemerkenswerte Serie von zwölf Blättern geschaffen.