Wählen ist für mich Bürgerpflicht. Das allgemeine und freie Wahlrecht musste mühsam erkämpft werden – und muss es in vielen Ländern der Erde immer noch –, mir fehlt jedes Verständnis dafür, wenn jemand bewusst auf dieses Recht verzichtet.
Es gibt keine verlorenen Stimmen. Auch wer ungültig wählt, setzt ein Zeichen, indem er signalisiert, dass er die Demokratie grundsätzlich bejaht, nur bei dieser Wahl eben keine Partei entdeckt hat, für die er sich entscheiden konnte. Auch jemand, der eine Partei wählt, die wenig Aussichten hat, ins Parlament einzuziehen, verdient Respekt, allerdings nur mit Einschränkungen, wenn er eine Liste nur aus purem Jux ankreuzt (das wäre aus meiner Sicht bei Düringers „G!lt“ der Fall) und nicht aus Überzeugung (dafür käme die KPÖ in Frage).
Vernünftiger ist es natürlich, einer Partei die Stimme zu geben, die dann auch im Parlament ihre Wählerinnen und Wähler vertreten kann. Bei der Nationalratswahl 2017 haben neben den drei Parteien, die den Anspruch auf den künftigen Kanzler stellen, weitere drei Listen diese Chance: die Grünen, die Neos und die Liste Pilz. Ich würde es allen dreien gönnen, dieses Ziel zu erreichen – es wäre gut für die Lebendigkeit des Parlamentarismus und würde die weltanschauliche Buntheit der Bevölkerung auch im Nationalrat widerspiegeln. Ich habe großes Verständnis dafür, wenn jemand für eine dieser drei Listen votiert, weil er vom Hickhack der größeren Parteien genug hat und das Engagement und die weitgehend sachliche Politik der drei Listenführer Ulrike Lunacek, Matthias Strolz oder Peter Pilz schätzt.
Wer allerdings als Wählerin oder Wähler in den Kampf um die Kanzlerschaft eingreifen will, wird sich, oft schweren Herzens und einige Antipathien überwindend, für den jeweiligen Spitzenkandidaten von SPÖ, ÖVP oder FPÖ entscheiden müssen, und sei es auch nur, um eine bestimmte Regierungskonstellation zu verhindern. Christian Kern hat sich schon als Verhinderer von Schwarz/Türkis-Blau in Stellung gebracht (es soll für ihn wohl auf Rot-Blau hinauslaufen), Sebastian Kurz hingegen als Bollwerk gegen Rot-Blau (was wahrscheinlich zu Schwarz/Türkis-Blau führen würde). Und Heinz Christian Strache war ja schon seit Jahren nicht müde, die gegenwärtige Koalition als das übelste Hemmnis für Reformen in diesem Land darzustellen, wohl wissend, dass er nur in Kooperation mit einer der bisherigen Regierungsparteien Kanzler oder Vizekanzler werden kann.
Ein Bundeskanzler Strache? Diese Möglichkeit besteht, wenn die FPÖ auf Platz eins landet, aber auch wenn sie Zweiter wird und der Dritte, mutmaßlich die SPÖ, vielleicht aber auch die ÖVP, alles andere einer weiteren Koalition von Sozialdemokraten und Volkspartei vorzieht. Ob das funktionieren würde, ist eine andere Frage – wahrscheinlich würde es sehr rasch in der SPÖ eine „Kernspaltung“ und in der ÖVP einen „Kurzschluss“ auslösen. Das Ausland würde zu Recht aufschreien, der Bundespräsident alle Hebel dagegen in Bewegung setzen, aber es wäre nicht auszuschließen, dass Strache eine knappe Mehrheit im Parlament hinter sich bringt.
Ein Bundeskanzler Kurz? Die Umfragen, die dem jungen Volksparteichef einen klaren Wahlsieg prognostizieren, sind mit großer Vorsicht zu genießen. Das „negative campaigning“ gegen ihn könnte sehr wohl noch Wirkung zeigen. Möglicherweise kehren viele Stimmen, die ihm aus dem bisher freiheitlichen Wählerspektrum winkten, im letzten Moment zur FPÖ zurück, zudem polarisiert er, der wahrscheinlich als Einziger wirklich Reformen auf den Weg bringen könnte und würde, mit Positionen, die gerade gestandene Christdemokraten verstören. Selbst wenn Kurz Erster wird, muss er danach noch die Koalitionsverhandlungen gewinnen, als Zweiter oder Dritter sind seine Chancen dahin – der Coup des Wolfgang Schüssel nach der Wahl 1999 erscheint kaum wiederholbar.
Nochmals ein Bundeskanzler Kern? Im Grunde wäre es ein politisch verheerendes Signal, nämlich eine Belohnung für ihre Unfairness in mehreren Wahlgängen seit 2001, wenn die SPÖ doch noch das Rennen macht und wieder, mutmaßlich mit Hilfe der FPÖ, den Kanzler stellt. Auch diese Variante ist nicht auszuschließen.
Am Wahlabend wird es Sieger und Verlierer geben, die Verlierer werden eventuell schon sehr bald von der politischen Bühne verschwinden. Treten neue Personen in ihre Fußstapfen, die nicht die alten Ressentiments gegen politische Konkurrenten weitertragen, werden andere Konstellationen möglich. Aus meiner Sicht wäre es durchaus wünschenswert, wenn das Wahlergebnis Koalitionen ermöglichen würde, an der nur eine der größeren und ansonsten kleinere Parteien beteiligt wären, aber danach sieht es derzeit – leider – eher nicht aus.
Veröffentlicht am 13. Oktober 2017
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