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Lauftipps von einer Trainerlegende

Mit Steigerungsläufen zum lockeren Schritt

Trainerlegende Jürgen Mallow über einfache Tipps, um die Laufleistung zu verbessern, und über die afrikanische Übermacht im Laufsport.

Von Heiner Boberski

Er kann knapp und präzise analysieren und formulieren, das mag eine norddeutsche Eigenschaft sein – er liebt aber auch Österreich, sonst würde er seinen Ruhestand nicht im niederösterreichischen Gablitz verbringen. Zu seinem 70. Geburtstag am 5. Dezember 2014 lobte ihn der deutsche Journalist Harald Koken als „entscheidenden Wegbereiter“ für Erfolgsbilanzen der deutschen Leichtathletik mit den Worten: „Seine Qualitäten als Berater von Extraklasse-Athleten sind unbestritten.“
Die Rede ist von Jürgen Mallow, der als Vereins-, Landes und Bundestrainer, zuletzt auch bis 2009 als Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), jahrzehntelang zum hohen Niveau im deutschen Langstreckenlauf beitrug. Sein erfolgreichster Schützling war Patriz Ilg, 1982 Europameister und 1983 in Helsinki erster Weltmeister im 3000-Meter-Hindernislauf. Kaum einer hat so genau wie Mallow die Entwicklungen im Laufsport verfolgt und versteht es so gut, seine Erfahrungen weiterzugeben. Von seinen Tipps können nicht nur Spitzenathleten, zuletzt in Österreich die 400-Meter-Hürden-Läufer Thomas Kain und Dominik Hufnagl, sondern auch Hobbyläufer profitieren.
Im Gespräch mit „Laufsport-Marathon“ erzählt Mallow, dass seine Geburt 1944 in Wustrow in Mecklenburg-Vorpommern, einem Teil der Gemeinde Lanz, im gleichen Standesamt verzeichnet wurde wie 1778 jene von Friedrich Ludwig Jahn, dem berühmten deutschen „Turnvater“. Jürgen wuchs in Hamburg auf und bekam durch Zufall einen Klassenlehrer, der ihn für die Leichtathletik begeisterte. Er lief selbst gerne Mittelstrecken, holte auch Medaillen in Teambewerben, schlug aber bald die Trainerlaufbahn ein. Schon mit 15 Jahren trainierte er eine Schülergruppe und musste damals zu Trainingslagern immer einen Vater mitnehmen, weil er selbst noch nicht die Verantwortung für die Aufsicht tragen durfte. Das Studium der Theaterwissenschaft führte ihn kurz nach Wien, vor allem aber nach München, wo er dann dem Organisationskomitee für die Olympischen Sommerspiele 1972 angehörte. Anfang der 1980er Jahre war er als Cheftrainer beim LAC Quelle Fürth und DLV-Trainer für den Hindernislauf schon ein bekannter und erfolgreicher Betreuer.

Umfang muss variabel gestaltet sein

Jürgen Mallow betont, dass die Qualität des Trainings viel entscheidender ist als die Quantität, und er begründet dies auch: „Wir haben mehr trainiert als die Generation davor, aber deutlich weniger als heute trainiert wird. Die Hindernisläufer liefen allerhöchstens zwei Drittel von den heute gelaufenen Umfängen, im Jahresschnitt nie mehr als 100 Kilometer pro Woche, die Marathonläufer selten mehr als 140 Kilometer, während heute regelmäßig 200 Kilometer trainiert werden.“ Es sei zu hinterfragen, ob diese Steigerung der Umfänge wirklich zielführend sei: „Wir hatten damals allein in Bayern mehr Marathonläufer, die 2:20 Stunden oder darunter laufen konnten, als heute in ganz Deutschland. Man wird heute in Deutschland über 3000 Meter Hindernis mit einer Zeit Meister, die in den 1980er Jahren gerade noch für die Finalqualifikation gereicht hätte.“
Alle, die Marathon unter 2:20 Stunden laufen konnten, hatten gemeinsam, dass sie sich im Crosslauf bewährt hatten und auf der Bahn Bestzeiten unter 15 Minuten für die 5000 Meter oder unter 3:50 Minuten über 1500 Meter aufwiesen: „Die sind auf der Bahn immer schneller geworden und haben dann auf die Langstrecken gewechselt. Die Schnelligkeit haben sie dadurch erworben, dass sie lauftechnisch immer besser wurden. Wir haben, um die Technik zu entwickeln, kein Sprinttraining gemacht – das führt meist dazu, dass man nicht mehr locker läuft –, sondern immer wieder Steigerungsläufe über etwa 80 bis 100 Meter auf dem Rasen, um einen guten, lockeren Schritt zu entwickeln. Viele Steigerungsläufe zu laufen, aber nie bis zur Höchstgeschwindigkeit, das ist ein Tipp, den man auch einem Hobbyläufer geben kann.“
„Das gemischte Training, die Anwendung zahlreicher unterschiedlicher Trainingsformen“, führe zum Erfolg, sagt Mallow. Im Hochleistungssport könne und müsse man noch viel mehr differenzieren als im Hobbysport. Zum Unterschied von früher werde heute mehr und besser Krafttraining betrieben. So lautet ein weiterer Tipp von ihm: „Wenn ich eine der Einheiten, die ich sonst laufe, nicht weglasse, aber ersetze durch ein kombiniertes Training mit vielen Steigerungen und viel Gymnastik und Athletik, so tue ich meinem Körper sicher etwas Gutes – und der Leistung wahrscheinlich auch.“ Er warnt auch vor zu viel Ehrgeiz: „Man muss nicht 365 Tage im Jahr laufen und sich dabei ständig quälen – aber man soll konsequent trainieren.“
Mallow erinnert daran, dass jede Generation neue Trainingsmethoden entwickelt habe. Die Skandinavier waren die ersten, die auch im Winter – auf Langlaufskiern – trainierten, was der Deutsche Rudolf Harbig, der 1939 vier Weltrekorde aufstellte, noch nicht praktizierte. Für Mallow ist damit bewiesen: „Man kann als Hochbegabter auch mit nur sieben Monaten Lauftraining auf einer Aschenbahn die 800 Meter in 1:46 laufen.“ Harbigs Trainer Woldemar Gerschler entwickelte das Intervalltraining, das später der Tscheche Emil Zatopek intensiv betrieb. Hinter der Laufdominanz bestimmter Nationen – etwa der Finnen um Paavo Nurmi in den 1920er Jahren oder der Briten um Sebastian Coe zu Beginn der 1980er Jahre – standen für Mallow aber nicht nur besondere individuelle Begabungen, sondern auch die jeweiligen Trainingsmethoden. Doping hat seiner Meinung nach damals im Mittel- und Langstreckenlauf keine große Rolle gespielt, wohl aber im Sprint oder in den Wurfdisziplinen. In diesem Zusammenhang streut Jürgen Mallow auch einem österreichischen Trainerkollegen, der Klasseläufer wie Dietmar Millonig, Robert Nemeth und Wolfgang Konrad trainierte, Rosen: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hubert Millonig jemanden trainiert hat oder trainiert, der überhaupt an Doping denkt.“
Für nicht ratsam hält es Mallow, wenn gute Mittelstreckenläufer zu rasch auf lange Distanzen wechseln. Er denkt dabei an Klaus-Peter Nabein, unter seinen Fittichen 1979 Junioren-Europameister über 800 Meter, der nach einem Trainerwechsel nur ein guter Langstrecken-Allrounder wurde – bis zu einer Marathonzeit von 2:15 Stunden –, sich aber trotz seines großen Talents auf keiner Distanz in der Weltklasse etablieren konnte. Ein anderer Typ war Konrad Dobler, der absolut langsamste Läufer, den Mallow je in seinem Kader hatte: „Der konnte die 100 Meter als Jugendlicher nicht unter 15 Sekunden laufen und wäre normalerweise aus allen Förderungen geflogen, brachte es aber schließlich zum sechsten Platz bei einer Marathon-WM.“
Für Jürgen Mallow gilt nach wie vor: „Wer heute Leistungssportler werden will, der muss laufen wollen und nicht daran denken, ob ihn irgendwann irgendwer fördert. Wenn ihn keiner fördert und er nicht aufgibt, kann er trotzdem erfolgreich werden.“ Natürlich sei heute der Weg an die absolute Weltspitze sehr schwierig. Die derzeitige Dominanz der Afrikaner habe viele Gründe, zum Teil vielleicht Klima und Körperbau, vor allem aber die Aussicht auf sozialen Aufstieg und die langen Schulwege: „Ein Afrikaner hat meist mit 12 Jahren schon mehr Kilometer in den Beinen als ein Europäer mit 18.“ Es sei verständlich, wenn junge Europäer, die bei großen Rennen auf den ersten zehn bis zwölf Rängen nur Afrikaner erleben, sich nicht mehr auf eine Laufkarriere einlassen, aber das sei falsch: „Ich glaube, dass es nach wie vor möglich ist, dass auch weiße Europäer oder Amerikaner gewinnen können.“

Spitzenleistungen ohne Doping möglich

Doping sei natürlich ein ernstes Thema: „Je mehr Geld ein Sieger gewinnen kann, umso größer ist die Verführung zu dopen – erstens, weil er Geld verdienen kann, und zweitens, weil er es sich leisten kann, mit dem Geld das Doping zu verschleiern. Ich beharre darauf: Man kann ohne Doping Spitzenleistungen erbringen, aber man muss davon ausgehen, dass ein Großteil von denen, die in den Ranglisten oben aufscheinen, gedopt ist.“
Laufen sei zwar in den Industrieländern heute eine Massenbewegung, aber das habe wenig mit dem Leistungssport zu tun, wo nur eine Handvoll Läufer um die Meistertitel auf der Bahn kämpfen, oft mit mäßigeren Zeiten als vor 30 Jahren. Aber, so Mallow, es könne nicht nur das fast unerreichbare Ziel eines Olympiasieges Motivation für die Leichtathletik sein, es sei ja „auch schon etwas, Landes- oder Staatsmeister zu werden“. Da es beim Sport nicht nur um den Sieg, sondern auch um Fitness und Freude an der Bewegung sowie vor allem um die Persönlichkeitsentwicklung gehe, lautet Jürgen Mallows Appell: „Ich würde jedem Jugendlichen empfehlen, Leistungssport zu machen, auch Leichtathletik, wenn es ihm Spaß macht.“

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Dr. Heiner Boberski

geb. 1950, Studium der Theaterwissenschaft und Anglistik in Wien; 1978–2001 Redakteur der Wochenzeitung "Die Furche", ab 1995 deren Chefredakteur; 2004-2015 Journalist bei der "Wiener Zeitung"; derzeit freier Journalist. Autor mehrerer Sachbücher, vorwiegend zu Fragen der Religion. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

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