Auch Bibeln brauchen Updates
Die katholische Einheitsübersetzung und die evangelische Lutherbibel setzen bemerkenswerte neue Akzente.
Weihnachten naht, für Christen das Fest der Geburt ihres Herrn. „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären“, lautet eine Stelle aus dem siebenten Kapitel des Propheten Jesaja, die heuer am vierten Adventsonntag in den katholischen Kirchen gelesen wurde und so auch in der evangelischen Lutherbibel steht. In der neuen katholischen Einheitsübersetzung, die eben ausgeliefert wurde, steht dieser Text nicht mehr im Futurum, sondern lautet nun: „Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn.“
Genau diese Änderung sorgt unter konservativen Katholiken für Irritationen. Für die Neuformulierung wird der Originaltext der alten hebräischen Bibel ins Treffen geführt. Denn der bisherige Wortlaut beruhte auf deren erster Übertragung ins Griechische im zweiten vorchristlichen Jahrhundert (die sogenannte Septuaginta-Übersetzung). Damals wurde diese Stelle als Ankündigung der Geburt des Messias verstanden und ins Futurum gesetzt. Zudem wurde das hebräische Wort „almáh“, das nur „junge Frau“ bedeutet – wie jetzt auch in einer Fußnote angemerkt wird -, in der Septuaginta mit „parthenos“ übersetzt, was im Griechischen für „Jungfrau“ steht.
Schon dieses Beispiel zeigt, dass das „Buch der Bücher“ immer wieder für theologische Diskussionen sorgen kann, weil es eben nicht in unmissverständlicher Form vom Himmel gefallen ist. Aus Sicht der Gläubigen ist die Bibel „Gotteswort in Menschenwort“, also nur der von Menschen mit all ihren Schwächen gemachte Versuch, das von einer höheren Macht Geoffenbarte in Texte, ursprünglich in hebräische (Altes Testament) und griechische (Neues Testament), zu fassen. „Meine Pläne sind nicht eure Pläne, und eure Wege sind nicht meine Wege“, lässt Jesaja Gott sagen – und: „Wie der Himmel hoch über der Erde ist, so hoch sind meine Wege über euren Wegen und meine Pläne über euren Plänen.“
Um das, was die Autoren der Bibel ausdrücken wollten, in verschiedene Sprachen zu übersetzen, um es modernen Kulturen verständlich zu machen, ohne die ursprünglichen Texte zu verfälschen oder zu simplifizieren, um neu entdeckte Quellen und wissenschaftliche Erkenntnisse einzuarbeiten, bedarf es auch bei der Bibel ständiger „Updates“. Ein solches legt derzeit nicht nur die katholische Kirche mit der neuen deutschen Einheitsübersetzung vor, sondern hat bereits die evangelische Kirche mit einer Neuauflage der Lutherbibel geliefert, pünktlich ein Jahr vor dem 500. Jahrestag der Reformation.
Beide Neuerscheinungen setzen bemerkenswerte Akzente. Die Einheitsübersetzung für alle deutschsprachigen Katholiken ist eine Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils, wurde erstmals 1978 approbiert und, auch aufgrund etlicher wissenschaftlicher Neuerkenntnisse, ab 2006 einer Überarbeitung unterzogen. Von österreichischer Seite waren daran der emeritierte Salzburger Erzbischof Alois Kothgasser, der Alttestamentler Johannes Marböck und der Neutestamentler Franz Zeilinger beteiligt. Für Marböck beweist die Neuausgabe „mehr Mut zur Sprache der Bibel“.
Der hinweisende Ausruf „Siehe!“, in der früheren Version mehrmals gestrichen, wurde teilweise wieder aufgenommen. Von Elisabeth heißt es nicht mehr „sie empfing“, sondern „sie wurde schwanger“. Und wo bisher in der Übersetzung von der „Macht“ oder „Gewalt“ Gottes die Rede war, erfolgt eine Rückkehr zum bildlichen Ausdruck „Hand Gottes“ im Originaltext. Größere Textveränderungen gab es bei den alttestamentlichen Büchern Jesus Sirach und Tobit, indem man der ursprünglicheren Handschrift folgte.
Eine gewichtige Änderung erfolgte aus Rücksicht gegenüber dem Judentum. Der hebräische Gottesname „Jahwe“, den Juden aus Gründen des Respekts weder aussprechen noch schreiben, kommt in den neuen katholischen Bibeltexten nicht mehr vor. Damit folgen die Katholiken einer überkonfessionellen Absprache, die bereits in evangelischen Bibelübersetzungen umgesetzt wurde. Während die katholische Einheitsübersetzung bisher den Gottesnamen an vielen Stellen des Alten Testaments ausschrieb, steht dort nun durchgängig in Großbuchstaben die Bezeichnung „HERR“ oder „GOTT“.
Auch gegenüber Frauen beweist die neue Einheitsübersetzung mehr Respekt. Wenn das im Text inhaltlich so gemeint ist, werden Frauen einbezogen. In den Paulusbriefen werden nun „Brüder und Schwestern“ angesprochen, nicht nur „Brüder“, obwohl Sprachpuristen nicht zu Unrecht meinen, dass der Originalbegriff „adelphoi“ nur Brüder bedeutet. Um klarzustellen, dass immer auch das weibliche Geschlecht mitgemeint ist, werden nun an passenden Stellen „Söhne“ als „Kinder“ und „Väter“ als „Eltern“ bezeichnet.
Dass es sich bei den zwei im Römerbrief des Paulus genannten „angesehenen Aposteln“ Andronikus und Junia nicht um zwei Männer, sondern um einen Mann und eine Frau handelt, war Bibelexperten zwar schon länger bewusst, steht aber nun auch in der Einheitsübersetzung. Das ist nicht unwesentlich für die Debatte darüber, welche Ämter Frauen in der katholischen Kirche offen stehen sollen.
Nimmt Johannes Marböck für die neue Einheitsübersetzung „mehr Mut zur Sprache der Bibel“ in Anspruch, so spricht die evangelische Expertin Jutta Henner, Direktorin der Österreichischen Bibelgesellschaft, im Bezug auf die Neuauflage der Lutherbibel von „mehr Luther“. Das epochale Werk des Reformators Martin Luther aus dem 16. Jahrhundert war nicht die erste Übertragung der Bibel ins Deutsche. Sie zeichnete sich aber durch eine allgemein verständliche Sprache aus, weil Luther dem Volk „aufs Maul“ schaute.
Sogar der alles andere als gläubige Philosoph Friedrich Nietzsche hat Luthers Bibelübersetzung als „Meisterwerk der deutschen Prosa“ und „bisher bestes deutsches Buch“ gelobt.
Die Lutherbibel ist ein für die Entwicklung der deutschen Schriftsprache bedeutsames Werk. 1984 war sie zuletzt neu aufgelegt worden. Zehn Jahre zuvor hatte es eine eher missglückte Ausgabe gegeben, das Alte Testament befand sich auf dem Stand von 1964.
Das vom Rat der Evangelischen Kirchen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in Auftrag gegebene „Mammutprojekt“ habe sich, wie Jutta Henner beim diesjährigen Reformationsempfang der evangelischen Kirchen Anfang November im Wiener Odeon-Theater feststellte, um Treue zum Ausgangstext, um „Bewahren, Korrigieren, Wiederherstellen“ bemüht. Modernisieren war kein Ziel, denn es gibt genug moderne Bibeln wie die „Gute Nachricht“ oder die Zürcher Bibel. 70 Theologinnen und Theologen waren daran beteiligt, 35.598 Verse zu verändern, wobei es die umfangreichsten Änderungen bei den sogenannten Apokryphen gab.
„Luther war näher am hebräisch-griechischen Text als spätere Bearbeiter“, betonte Henner und verwies auf seine „einzigartige, pointierte Sprache“ mit einer zuweilen überraschenden Wortstellung. Als ein Beispiel für die Rückkehr zu „mehr Luther“ nannte sie die Umformulierung von „in Ost und West“ zu „vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ (Jesaja 45,6).
Ein nicht mehr amtierender österreichischer Bischof soll einst einem Journalisten auf die Frage, welche Bibelübersetzung er bevorzuge, geantwortet haben, er arbeite am liebsten mit dem griechischen Original. Doch der Weg zum Heil sollte auch Menschen ohne Hebräisch- oder Griechisch-Kenntnisse offenstehen. Natürlich muss man auch bei Bibelübersetzungen einen auf jede Art von Literatur anwendbaren Satz des spanischen Dichters Miguel de Cervantes, dessen 400. Todestag heuer begangen wurde, im Hinterkopf haben: „Das Lesen einer Übersetzung entspricht der Untersuchung der Rückseite eines Gobelins.“
Erschienen in der Wiener Zeitung am 20.12.2016.