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Wann ist ein Marathon ein Marathon?

Wann ist ein Marathon ein Marathon?

LAUFENDE ERMITTLUNGEN Bestleistungen auf der „klassischen“ Laufstrecke sind eine Frage exakter Distanzmessung und anderer Kriterien. DR. HEINER BOBERSKI

„Ich bin heuer den Wien-Marathon gelaufen.“ Das sagen zwar viele, aber korrekt ist die Aussage nur, wenn man die Distanz von 42,195 Kilometern bewältigt und nicht nur an einem der etlichen anderen Bewerbe teilgenommen hat. Ein echter Marathon führt nun einmal über diese Streckenlänge.
Das liegt aber nicht daran, dass jener legendäre Bote, der im Jahr 490 vor Christus von Marathon nach Athen gelaufen sein soll, diese Distanz zurückgelegt hat. Dieser Mann lief höchstwahrscheinlich eine um gute acht Kilometer kürzere Route über das Pentelikon-Gebirge, zumal jene – deutlich flachere – 40-Kilometer-Strecke, die 1896 der erste Marathon-Olympiasieger Spiridon Louis bewältigte, in der Antike stark versumpft war.
Wie wahrscheinlich die meisten Marathonläufer wissen, gehen die 42,195 Kilometer auf die Olympischen Spiele 1908 in London zurück, wo auf Wunsch der Royals der Start vor dem Schloss Windsor und das Ziel vor der Hofloge im White City Stadion liegen musste. Der dramatische Rennverlauf – der Italiener Dorando Pietri überquerte als Erster die Ziellinie, allerdings mit fremder Hilfe, weshalb er disqualifiziert und der Amerikaner John Hayes Olympiasieger wurde – führte zu einigen Revancheläufen über die exakt gleiche Streckenlänge, die dann 1921 vom Internationalen Leichtathletikverband IAAF zur offiziellen Marathondistanz erklärt wurde.
Da die Marathonstrecken in aller Welt aber sehr verschieden sind und häufig auch ungenau vermessen wurden, hat die IAAF lange Zeit nur Weltbestzeiten anerkannt, als ersten offiziellen Weltrekord erst Paul Tergats 2003 in Berlin gelaufene 2:04:55. Damit eine Marathonstrecke rekordtauglich ist, muss sie von der Association of International Marathons and Distance Rates, kurz AIMS genannt, vermessen worden sein und ganz bestimmten Kriterien entsprechen. Es dürfen auch keine einander abwechselnden Schrittmacher eingesetzt werden, deshalb hatten die 2:00:25 von Eliud Kipchoge, die er am 6. Mai 2017 auf dem Formel-1-Kurs von Monza lief, keine Chance auf Anerkennung, es bleibt vorläufig beim 2014 von Dennis Kimetto in Berlin aufgestellten Weltrekord von 2:02:57.
Der Kärntner Rainer Soos, der seit 20 Jahren für AIMS tätig ist, erläutert auf seiner Website, wie er mit dem „Jones Counter“, einem kleinen, am Vorderrad eines Fahrrads montierten Instrument, Strecken auf der Ideallinie vermisst. Um jeden Fehler auszuschließen wird ein Promille – 42 Meter – mehr gemessen, eine AIMS-vermessene Strecke ist somit eigentlich 42,237 Kilometer lang. Außerdem dürfen Start und Ziel auf Luftlinie nicht mehr als die halbe Marathondistanz von einander entfernt sein, also maximal etwa 21 Kilometer, der Start darf nicht mehr als ein Promille der Streckenlänge höher liegen als das Ziel, also höchstens 42 Meter. Das soll verhindern, dass Wind oder Gefälle für Rekordzeiten ausgenützt werden können, und darum werden zum Beispiel Leistungen beim Boston-Marathon nicht von der IAAF anerkannt.
Wird auf einer AIMS-Strecke ein Weltrekord erzielt, so muss sie, sagt Rainer Soos, von einem zweiten AIMS-Vermesser nachgemessen werden. Wird auf einer Nicht-AIMS-Strecke ein Rekord gelaufen, gilt er sicher nicht, auch nicht nach einer Nachmessung. Das war dann nur „ein netter 42-Kilometer-Lauf“, zitiert Soos den AIMS-Generalsekretär Hugh Jones, einen ehemaligen Marathonchampion.
Was lernen wir daraus? Wenn Sie einen Marathon in einer anerkennbaren Zeit bewältigen wollen, halten Sie sich an die IAAF-Regeln und an eine AIMS-Strecke! Laufen Sie ja nicht nur von Marathon nach Athen!

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